Unter dem Titel “Was heißt hier Qualifikation?” in gekürzter Fassung am 30.04.2013 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erschienen.
Am 18. April hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung den zweiten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs veröffentlichen lassen. Unter der Leitung von Anke Burkhardt (Institut für Hochschulforschung an der Universität Halle-Wittenberg) hat ein Konsortium von Forschungseinrichtungen aktuelle Fakten und Zahlen zu den Zukunftsperspektiven der Promovierten zusammengetragen und insbesondere die Lage des promovierten wissenschaftlichen Nachwuchses unter die Lupe genommen.
Unter dem Titel “Was heißt hier Qualifikation?” in gekürzter Fassung am 30.04.2013 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erschienen.
Am 18. April hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung den zweiten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs veröffentlichen lassen. Unter der Leitung von Anke Burkhardt (Institut für Hochschulforschung an der Universität Halle-Wittenberg) hat ein Konsortium von Forschungseinrichtungen aktuelle Fakten und Zahlen zu den Zukunftsperspektiven der Promovierten zusammengetragen und insbesondere die Lage des promovierten wissenschaftlichen Nachwuchses unter die Lupe genommen.
Die gute Nachricht ist: Promovieren lohnt sich weiterhin. Auch und gerade außerhalb einer wissenschaftlichen Karriere verschafft die Promotion vor allem Vorteile. Die schlechte Nachricht ist: Die Karrierestrukturen an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen geraten immer weiter aus den Fugen. Nun liegt der Anteil der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter bei 90%. Auch unter den Professuren haben Befristungen zugenommen, doch hier nennt der Bericht keine Zahlen.
Selbst wenn der Bericht Optimismus verbreiten will, fällt doch auf, dass die breite Mehrheit der heutigen Wissenschaftler keinen Arbeitsplatz an der Universität finden wird. Von der Promotion zur Habilitation schaffen es nach den aktuellen Angaben des Bundesberichts nur 7%. Die Zahl sagt nicht viel aus, denn mindestens 25% wünschen sich gar keine Karriere in Forschung und Lehre. Viele Promovierte treffen die Entscheidung gegen die weitere Forschungskarriere früh, in einem Alter zwischen 25 und 35 Jahren. Mehr Aufschluss erlaubt eine andere Zahl: Von der Habilitation auf die (eventuell befristete) W2- oder W3-Professur gelangen nur ca. 33%.
Diejenigen, die es nicht schaffen, werden spät in ihrem Leben auf den außerakademischen Arbeitsmarkt geworfen. Die Habilitation erfolgt nämlich durchschnittlich erst mit 40,8 Jahren. Die meisten der Habilitierten stehen zum Zeitpunkt der Habilitation noch in einem Beschäftigungsverhältnis mit einer Hochschule. Das bedeutet, dass sehr viele von ihnen erst nach der Habilitation ausscheiden müssen. Zwar liegen keine Daten über die Berufschancen der Habilitierten vor, die die Universität verlassen. Die Habilitation zeigt jedoch eine Spezialisierung an, die nur innerhalb von Forschung und Lehre nützlich wirkt; umgekehrt fehlen berufliche Erfahrungen, die außerhalb der Hochschulen erwartet werden.
Vor knapp mehr als zehn Jahren ist die Juniorprofessur eingeführt worden, damit die Entscheidung über mögliche Karrierewege früher und planbarer erfolgen kann. Auch im zweiten Bundesbericht wird die Juniorprofessur als Erfolg gepriesen. Sie erlaubt eine frühe Selbständigkeit in Forschung und Lehre; die W1-Professoren zeigen sich überdurchschnittlich zufrieden; ihre Zahl steigt kontinuierlich über die Jahre; ihre Berufungsfähigkeit auf eine Lebenszeitprofessur ist in allen Bundesländern verankert.
Will man jedoch heute, mehr als zehn Jahre nach ihrer Einführung, rekapitulieren, wie sich die Juniorprofessur entwickelt hat, so kommt man nicht herum festzustellen, dass punktuell Rückschritte zu beobachten sind und dass einige der wichtigsten Ziele, die mit ihrer Einführung verbunden gewesen sind, nicht erreicht worden sind.
Der Sächsische Landtag hat beispielsweise Ende September 2012 beschlossen, dass Juniorprofessoren nicht mehr dieselben Rechte und Pflichten wie W2- und W3-Professoren in Promotionsverfahren haben. Die Degradierung der Juniorprofessuren in Sachsen wird von der Landesregierung damit begründet, dass man die Qualität von Promotionsverfahren sichern will. Zwar ist kein Fall bekannt geworden, bei dem eine Promotion ausgerechnet von Juniorprofessoren mit mangelhafter Sorgfalt geprüft worden wäre. Dennoch beschränkt die Landesregierung aktionistisch die Rechte der Juniorprofessoren.
Ursprünglich ist die Juniorprofessur geschaffen worden, um »jungen Nachwuchskräften« eine frühe akademische Selbständigkeit zu ermöglichen. Die meist völlige rechtliche Gleichstellung zwischen Junior- und sonstigen Professuren sollte bedeuten, dass die Juniorprofessur keine »Qualifikationsphase« mehr bildet, sondern im Sinne von »training on the job« jüngeren bestausgebildeten Nachwuchskräften Selbständigkeit zutraut. Die Nachwuchskräfte hätten kritisch ein oder zwei Male evaluiert werden sollen. So sollte schließlich entschieden werden, ob sie geeignet sind, an der Universität zu verbleiben.
Ziel war, die Personalplanung sinnvoll zu strukturieren. Leider hat die Bundesregierung 2002 die Einführung der Juniorprofessur mit der Abschaffung der Habilitation verbinden wollen. Dies hat sich als großer Fehler entpuppt. Denn eigentlich ist die Juniorprofessur nie im Gegensatz zur Habilitation und nie als komplett neuartige Form der Qualitätssicherung konzipiert worden. Denn niemand hat je verlangt, dass es für die Evaluation der Juniorprofessur andere Kriterien gibt als für die Habilitation. Es ist auch heute keiner Fakultät verwehrt, an die Evaluation die Kriterien anzulegen, die für Habilitationen in Anschlag gebracht werden. Es lässt sich beobachten, dass gerade die Naturwissenschaften die Gelegenheit genutzt haben, ihre Qualitätskontrollen anzupassen und die alten Verfahren der Habilitation aufzugeben. Aber Wahl der Qualitätssicherung ist nach wie vor den Fakultäten überlassen. Sie ist politisch nie angetastet worden.
Mit der Einführung der Juniorprofessur sollte hingegen mittelfristig das Prekariat der Privatdozenten enden. Zwei Ziele wurden verfolgt. Erstens sollten diejenigen, die sich in den Verfahren der Qualitätssicherung bewähren, auch eine realistische Chance auf einen Verbleib in ihrem Beruf haben. Zweitens sollten die Aspiranten auf eine Lebenszeitprofessur nicht nur hinsichtlich ihrer Forschungs- und Lehrleistungen beurteilt werden. Sondern die Bewertung sollte sich auf alle Aufgaben erstrecken, die Professoren wahrnehmen.
Diese Form von Personalentwicklung ist das, was in Unternehmen und sogar Behörden den Normalfall bildet: Man bewertet die Mitarbeiter anhand dessen, was sie in ihrem Aufgabenbereich konkret leisten; und daraufhin gewährt man ihnen Positionen. Auch an Universitäten jenseits Deutschlands wird Personalrekrutierung oft so praktiziert. Außerhalb von deutschen Universitäten weiß man indessen nicht, wie deutsche Universitäten traditionell Professoren an ihre Aufgaben heranführen. Man versteht als Außenstehender nur mit Mühe, warum Hochschulen in Deutschland ihre Mitarbeiter explizit dazu anhalten, sich andernorts zu bewerben und einen Weggang als Ausweis des Erfolgs feiern. Die hergebrachten Verfahren sind weder effizient noch menschenfreundlich.
Der deutsche Gegenbegriff zu »Personalplanung« lautet »Qualifikation«. An der Universität durchsteht man bis zur Lebenszeitprofessur verschiedene »Qualifikationsphasen«, in denen man sich für die Tätigkeit in Forschung und Lehre überhaupt erst qualifizieren soll. Man qualifiziert sich dabei für Forschung und Lehre, obwohl man das eigentlich längst tut, wofür man sich qualifizieren will: Man unterrichtet Studierende und prüft sie, man publiziert in internationalen Fachzeitschriften und man reist zu Konferenzen in aller Welt, etc.
»Qualifikation« bedeutet dabei traditionell, dass die Tätigkeiten nicht selbständig sind. Die meisten derjenigen, die sich qualifizieren, arbeiten in weisungsgebundenen Dienstverhältnissen und hängen von den Entscheidungen ihrer Vorgesetzten ab. Sie hängen zugleich von den späteren Urteilen anderer Professoren ab, die schließlich über ihre Bewerbungen auf die rund 10% der Stellen, die Lebenszeitprofessuren sind, entscheiden. Die Phasen der »Qualifikation« sind also geprägt von sehr hoher Abhängigkeit von Weisungen und Urteilen anderer – und durch eine statistisch sehr geringe Chance, unter diesen Bedingungen zu bestehen.
Wenn man zu den wenigen Prozent gehört, die eine Lebenszeitprofessur erhalten, ist man in einem Alter von durchschnittlich 42 Jahren und gehört von einem Tag auf den anderen zu demjenigen Personenkreis, der über das Fortkommen des Nachwuchses entscheidet. Bei den wenigen Lebenszeitprofessoren konzentriert sich also die Befugnis zu entscheiden, was gute und schlechte Forschung ist, wer weiterkommt und wer nicht. Auf diese verantwortungsvolle Aufgaben einschließlich der vielen Personalverantwortung allerdings sind die meisten Amtsinhaber nie vorbereitet worden.
Die Schaffung der Juniorprofessur sollte auch diese Schieflage beheben. Natürlich sollte mit ihrer Einführung keineswegs der Wettbewerb um die besten Köpfe weniger scharf werden. Die fachlichen Anforderungen an Lebenszeitprofessoren sollte nicht sinken, sondern sogar steigen. Denn die ursprüngliche Idee sah vor, dass junge Nachwuchswissenschaftler vom ersten Tag an nach und nach alle Aufgaben übernehmen, die den Lebenszeitprofessoren obliegen. Man arbeitet selbständig – ganz ohne einen Vorgesetzten. Nur Erleichterungen in der Belastung mit Lehrverpflichtungen sind vorgesehen. Der Wettbewerb sollte sogleich in allen Bereichen stattfinden: Jede der Verantwortungen, die die Juniorprofessoren übernehmen, unterliegt der Kontrolle durch die späteren Gutachter. Dies ist die Idee von »training on the job« gewesen: Man zeigt im täglichen Geschäft, ob man es kann oder nicht. Und niemand hat jemals verlangt, dass die Messlatte für Juniorprofessuren tiefer als bisher hängen sollte – im Gegenteil sind die Ansprüche vom ersten Tag an höher.
In vielen Bundesländern ist dieses Modell auch in Teilen umgesetzt worden. Manchmal ist das Recht zur Beteiligung an Habilitationsverfahren ausgenommen worden. Abweichend von der ursprünglichen Idee sind die Leistungsprüfungen im Laufe der Juniorprofessur allerdings nie flächendeckend zu dem Instrument geworden, mit dem man entscheidet, ob man den Juniorprofessor zum Lebenszeitkollegen machen will. Immerhin bei den wenigen Tenure-Track-Juniorprofessuren wird ein Verfahren vorgesehen, am Ende der Amtszeit eines Juniorprofessors einen eventuellen Verbleib an der Hochschule zu ermöglichen. Damit schon ist aus dem Prinzip »training on the job« wieder geworden: ein bloßes Training für künftige Bewerbungen.
Die jüngsten Entwicklungen in Sachsen zeigen, dass man die Einflussmöglichkeiten der Juniorprofessoren auf die weitere Forschung wieder stärker beschneiden will. Die partielle Gleichsetzung mit den Assistenten zeigt, dass Sächsische Universitäten ihre Juniorprofessoren nicht als selbständige, zur Probe ernannte Professoren ansehen, sondern voll und ganz wieder als die Nachwuchskräfte, die sich erst dereinst qualifizieren sollen und bis dahin Weisungen gehorchen müssen. Die Entwicklung in Sachsen ist zum Glück im Moment die Ausnahme. Von der Technischen Universität Darmstadt ist zu hören, dass sie die Nachwuchsgruppenleiter, die auch zur selbständigen Forschung berechtigt sind, zugleich zu Juniorprofessoren ernennen will, um ihnen die angemessene Einflussmöglichkeiten auf ihre Disziplin zu geben. Das ist sehr zu begrüßen. Aber die Entwicklung in Sachsen zeigt, dass an vielen Orten wieder der Wunsch erstarkt, die Zahl der selbständig forschenden und lehrenden Wissenschaftler auf eine sehr kleine Zahl zu beschränken.
Auch wird wenig diskutiert, wie weit die tatsächliche Unabhängigkeit der Juniorprofessoren gehen kann, wenn ihre Zukunft weiterhin von den unmittelbaren Lebenszeitkollegen und ihren Urteilen abhängt. Selbst wenn den Juniorprofessoren und den W2-Professoren auf Zeit formal Unabhängigkeit gewährt wird, hält sich die tatsächliche akademische Freiheit vielleicht in Grenzen. Wenn in den Urteilsbefugnissen der Lebenszeitkollegen immer der Hinweist mitschwingen kann, dass man als Juniorprofessor ja auch außerhalb der Universität sein Glück versuchen kann, wird sich bisweilen die akademische Unabhängigkeit selbst Grenzen setzen müssen.
Deutschland leistet sich hier eine internationale Anomalie. Weniger als 10% der wissenschaftlich Beschäftigten sind W2/W3/C3/C4-Professoren (teilweise auch befristet), rund 2% Juniorprofessoren und noch einmal 1–2% sind Nachwuchsgruppenleiter. Damit sind nur ca. 14% zu selbständiger Forschung berechtigt, und nur etwas mehr als 9% können ohne Rücksicht auf das Urteil der etablierten Kollegen Forschungsergebnisse publizieren und sich ungefährdet kritisch äußern. In den USA beispielsweise sind ca. 66% selbständig, und rund 33% genießen Tenure, also Unkündbarkeit, also uneingeschränkte Unabhängigkeit. Das deutsche System ist zu allem Überfluss sehr teuer. Denn die vielen ständig wechselnden Personen – viele Arbeitsverträge haben Laufzeiten unter einem Jahr – erfordern immer neue Einarbeitungen und sorgen schon in den einfachsten Arbeitsabläufen in Forschung und vor allem in der Lehre für Diskontinuitäten und Instablitäten. Welche Kosten sie in den Drittmittel- und Personalverwaltungen verursachen, hat niemand je errechnet.
Das Risiko, das Deutschland mit einer solchen Personalpolitik eingeht, ist beträchtlich. Nicht nur behindert eine solche Politik die freie wissenschaftliche Entfaltung gerade der jungen Wissenschaftler; nicht nur investiert der Steuerzahler Milliarden Euro in die Ausbildung von Personen, die schließlich in einen ganz artfremden Arbeitsmarkt entlassen werden; sondern zu allem Überfluss bürden deutsche Universitäten ihren wenigen Lebenszeitprofessoren Aufgaben in so immensem Umfang auf, dass vielleicht schon mittelfristig die Qualität von Forschung, Lehre, Prüfungsbetrieb, Promotionsbetreuung und Nachwuchsförderung leiden wird. Zukunftsorientierte und verantwortungsvolle Politik sähe anders aus.